Ulurus Dream
Einführung
Es ist soweit. Ich mache mich auf den Weg, um bis nach Hoek van Holland zu fahren. Die Distanz ist nicht unbedingt erwähnenswert. Darum geht es mir nicht. Das erste Mal werde ich mit dem Fahrrad bis in die Niederlande vordringen. Es wird ein großer Meilenstein werden. Es ist Perpetuum-Tag no. 1.038. Mein Fahrrad ist wie neu. Ich war bei zwei Fahrradläden, habe den C**********-Mantel bereits nach knapp 2.000 Kilometern wutentbrannt entsorgt um glücklicherweise wieder auf das Vorzugsprodukt meiner Wahl des kleinen Vogels zu kommen. Das Innenlager, die 9-fach Zahnkranzkassette als auch die zwei größeren Kettenblätter wurden ausgetauscht. Ich habe den Lenkeradapter für die -tasche montiert und die Bremsbeläge, Schalt- und Bremszüge als auch das Kabel für das Rücklicht gewechselt. Der Umwerfer sowie das Schaltwerk wurden mehr oder weniger fachmännisch gereinigt und die zwei Schalträdchen erneuert. Die Satteltaschen wurden geputzt und ein weißer Aufkleber mit schwarzer Schrift am Oberrohr auf der rechten Seite mit den drei Worten: „fueled by dreams“ aufgeklebt. Der K***-Mantel des Vorderrades, den ich vor Urzeiten einst in Nürnberg gekauft habe ist ebenfalls erneuert worden. Mein Fahrrad wiegt 16,5 Kilogramm. Exklusive der Luftpumpe mit 109 Gramm, dem Schloss mit 579 Gramm und dem „7 Roads“ Stem-Bag (inklusive Sonnenbrille) mit 66 Gramm sind es „nur“ 15,8 Kilogramm. Ich glaube für einen Stahlrahmen ist es in Ordnung.

Ich bin stolzer Besitzer eines gebrauchten „Sea to Summit“-Packsacks mit einem Volumen von 20 Litern, in welchen das Zelt samt Schlafsack und -inlay passen. In der azurblauen Ausfertigung ist der Packsack farblich passend auf die Satteltaschen abgestimmt. Meine Kleidung ist wieder mit der Maschine gewaschen, die Fotos der alten Radreisen wurden kategorisiert, Reisen in Teilen auf Polarsteps eingepflegt und mit Steps und Fotografien versehen. Ich habe ein Online-Weiterbildungsseminar mit dem Titel „Unraveling the Cycling City“ des Urban Cycling Instituts mit Sitz in Amsterdam begonnen und befinde mich kurz vor dem Ende. Die GIS-Karte mit den importierten GPS-Tracks der zurückgelegten Touren als auch der geplanten ist erstellt. Mein „Perpetuum Publishings“-Buchregal no. 2 ist gefüllt. Ich bin all die Notizbücher (70 Stück an der Zahl beziehungsweise 61) Seite für Seite durchgegangen und habe meines Erachtens nach relevante markiert, fotografiert, mit einer digitalen Beschriftung versehen und auf der Internetseite eingefügt. All die Fotografieren der 30 Beiträge wurden komprimiert und mit Wasserzeichen versehen. In Ergänzung dazu habe ich eine Teilzusage aus Brüssel erhalten und zwei Mal den Rasen gemäht.
Ich werde das Land mit einem Kfz-Anteil von 1,1 je Haushalt und 0,52 je Einwohnendem im Jahr 2017 verlassen, um ein Land mit einem Fahrrad-Anteil von 1,29 je EW zu befahren. Ich trage viele Träume in meiner Brust – manche sind bereits wahr geworden, andere wiederum liegen nicht in meinen kleinen Händen manifestiert zu werden.
Was sind die Gründe für eine weitere Tour? Eigentlich wollte ich mich bereits auf der Strecke gen Nordkap befinden. Immer wieder taucht „Paneuropa III“ in meinem Kopf auf, ich sehne mich danach, vom Remstal aus bis nach London via Straßburg, Paris und Brüssel zu fahren. Aber Schritt für Schritt. Pedalumdrehung für Pedalumdrehung.
Das Buch „Ein neuer Weg“ wurde gedruckt und ein paar Menschen geschenkt, das Verlagsprogramm liegt mit rund 970 Versionen auf einem Karton. Die erste Seite mit meiner „Remington Rand“-Schreibmaschine ist beendet. Zwei Blogeinträge warten seit längerer Zeit darauf finalisiert zu werden: „Those Sacred Places“ und „Meine Richtungsweiser„. Es ist ein Prozess. Jeden Tag können kleine Beiträge geleistet werden, das Große Realität werden zu lassen. Manchmal müssen wir innehalten und langsamer gehen, die Fragen größer werden lassen und Grundsätzliches auf den Prüfstand stellen.
Zwei Mal bin ich zuvor entlang des Rheins gefahren. Das erste Mal war irgendwann mit meinem Vater (im August 2005). Wir starteten im Remstal und kamen bis nach Düsseldorf. An zwei Wochenenden im Januar 2023 kam ich vom Dreiländereck Deutschland – Frankreich – Schweiz erst bis nach Mannheim und dann bis nach Mainz. Ich wollte bis nach Bonn kommen. Es gab allerdings den „Schneezwischenfall“. Dieses Mal möchte ich in einer Woche vom Remstal aus entlang des Neckars auf der ausgesprochen schönen Strecke durch Heilbronn und Heidelberg bis nach Mannheim und dann weiter über Boppard, Bonn, Amerongen und Rotterdam, bis ich schließlich mit meinem LHT und meinem „Bleu de Marseille“-T-Shirt am Ende des Steges in Hoek van Holland stehen werde. Ungefähr 935,3 Kilometer später werde ich dann sagen können, den oberen Teil des EuroVelo 15 zurückgelegt zu haben. Andermatt via Chur bis nach Konstanz fehlt mir noch. Es sollte allerdings an zwei Tagen möglich sein.
Nun, was sind die Gründe für meine weitere Reise? Ich mag es Fahrrad zu fahren. Nein, ich liebe es Fahrrad zu fahren. Es bedeutet für mich schnell und kostengünstig von Punkt A zu Punkt B zu kommen. Gleichzeitig spare ich mir Zeit und Geld um in ein Fitnessstudio zu gehen. Ich weiß, dass in mir in jedem Moment die Kraft steckt, zum Bäcker, bis zur Landesgrenze oder bis zum Nordkap zu fahren. Nicht immer mag es leicht sein, doch in der Vergangenheit habe ich viele Erfahrungen sammeln dürfen, die mir stets vor Augen führen, dass es sich lohnt das Fahrrad im Alltag und auf Reisen zu verwenden.
Ein weiterer Grund ist, dass ich das Neue und das Unbekannte liebe. Wohin würden wir streben, wenn wir uns stets an dem Ort befinden, da wir verweilen? Ich brauche den Fahrtwind auf meiner Haut und eines Tages die Erinnerung daran, wie es war, als ich von Emmerich am Rhein bis nach Arnheim ein neues Land auf dem Sattel erkundet habe. Ich möchte meinen Kindern von der Weite der Welt erzählen, von ihrer Schönheit und von ihrem Potential. Ich möchte ihnen ein Vorbild sein und sie wissen lassen, dass jeder Mensch das erreichen kann, was er sich selbst zum Ziel setzt.
Des Weiteren möchte ich die Niederlande besser kennenlernen. Zuvor war ich im Masterstudium auf einer Exkursion für zwei oder drei Tage in Rotterdam, um dort mit dem zuständigen Stadtplaner ein Interview über die Entwicklungsphasen des „Manhattens Europas“ im „De Rotterdam“-Hochhaus an der Maas zu führen. Ich war mit zwei Mitbewohnenden aus Hamburg in Amsterdam im Van Gogh Museum und zwischen den Fleeten. Vor Ewigkeiten war ich auch einmal in Maastricht. Auf meiner Radreise nach Marseille im Sommer 2019 habe ich eine Niederländerin zwischen Chalon-sur-Saône und Lyon kennengelernt. Mit ihrem vollbepackten Rennrad hat sie die „100 Cols“ in Frankreich in Angriff genommen und erfolgreich abgeschlossen. Diese Tour wird auch als härteste Fahrradtour der Welt tituliert.
Ich möchte bis nach Hoek van Holland fahren, weil es für mich die Freiheit bedeutet. Ich möchte nachts im Zelt oder auf meiner Isomatte auf einer Bank am Wegesrand mit dem Blick in die Sterne einschlafen und frieren, um mich dann am Morgen wieder auf die Wärme freuen zu können. Ich möchte sagen können, dass ich die Donau, die Loire, die Rhone und den Rhein vom Anfang bis zum Ende erradelt habe.
Übersicht
- Die Tour auf Polarsteps: externer Link
- Die einzelnen Etappen finden sich unter nachfolgendem Link auf Komoot: externer Link
- Die Bücher der Reise zur Vorbereitung, Inspiration oder einfach so unter „Ulurus Dream“: Die Bücher der Reise
- Die Länder und Stationen der Reise:
- Deutschland: Remstal (Baden-Württemberg), Lauffen am Neckar, Heilbronn, Heidelberg (Hessen tangiert), Mannheim, Worms, Mainz (Rheinland-Pfalz), Bingen am Rhein, Sankt Goar, Boppard, Koblenz, Bonn (Nordrhein-Westfalen), Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Duisburg, Emmerich am Rhein
- Niederlande: Arnheim (Gelderland), Wageningen, Wijk bij Duurstede (Utrecht), Schoonhoven (Süd-Holland), Rotterdam, Hoek van Holland
- Tangierte Radwege:
- Paneuropa-Radweg, Neckartal-Radweg, Deutsche Fachwerk Straße, Burgenstraße, Salz&Sole-Radweg, 3 Länder-Radweg, Kurpfalzachse, 3-Täler-Radweg, Hessischer Radfernweg R4, EuroVelo 15, D-Route 8, EuroVelo 4, D-Route 5, Emmerich am Rhein Kennenlernroute, EuroVelo 2, EuroVelo 12
- Tangierte Wanderwege:
- Europäischer Fernwanderweg E1, Europäischer Fernwanderweg E8, Europäischer Fernwanderweg E3, Europäischer Fernwanderweg E 9, Welterbesteig, Jakobsweg
- Die Gesamtdistanz: 896,51 Kilometer
- Die Gesamthöhenmeter: 3.920 Meter
- Die Highlights:
- Gelände der Remstal-Gartenschau 2019, Remsmündung, Bundesgartenschau-Gelände 2019 in Heilbronn, Sichelsbrunnen in Rockenau, Heilkräutergarten in der Stadt Eberbach, Penta-Park Heidelberg, Neckarmündung, Theodor-Heuss-Brücke, Überquerung des 50. Breitengrades, Rastplatz R(h)ein-Blick in Trechtingshausen mit Informationsstele und Zitat Lord Byrons aus „Drachenfels“ im Zusammenhang mit Aufwertungen der Bundesgartenschau 2029, Altstadt Bacharach und die Werner Kapelle, Loreley-Blick, William Turner Fußspuren als Station auf der Turner-Route von Bingen nach Koblenz, Friedensmuseum Brücke von Remagen, „Seven paces“-Kunstwerk von Hamish Fulton in Rolandseck, Knotenpunkt-Wegweisung in Nordrhein-Westfalen, Fahrradstraße außerorts zwischen Zons und Stürzelberg, Blick auf die Rheinbrücke Wesel, Schutzgebiet Auenlandschaft Bislicher Insel, Naturschutzgebiet Bienener Altrhein, Radinfrastruktur in den Niederlanden, Fahrradaufzug an der Algerabrücke, Fahrradtunnel in Rotterdam, Rheinmündung in die Nordsee
Gliederung
- „Preparation Part I“ – Sonntag, 23. Juni 2024
- Walt Disney – Montag, 24. Juni 2024
- 05:06 Uhr morgens – Dienstag, 25. Juni 2024
- 9.135 Kilometer bis San Fransisco – Mittwoch, 26. Juni 2024
- Der 50. Grad nördlicher Breite – Donnerstag, 27. Juni 2024
- Breaking the 200 – Freitag, 28. Juni 2024
- Fiets Liefde – Samstag, 29. Juni 2024
- COMPROMIS – Sonntag, 30. Juni 2024
- Schwere Regentropfen auf schwarzem Asphalt – Montag, 01. Juli 2024
- „Unraveling the Cycling City“ – Mittwoch, 03. Juli 2024
„Preparation Part I“ – Sonntag, 23. Juni 2024
17:01 Uhr
Ich sitze auf der Terrasse im Garten am Holztisch und glaube, dass es gleich anfangen wird zu regnen. Ich habe mir ein Ticket für den Fernbus für Montag, den 01. Juli 2024 um 00:20 Uhr ab Rotterdam bis nach Stuttgart inklusive Fahrradmitnahme gekauft. Die Zeit tickt. Mein aktualisiertes Arbeitszeugnis soll bereits am Dienstag verschickt worden sein, jeden Werktag ging ich drei oder vier Mal an den Briefkasten, doch schloss ihn jedes Mal entmutigt wieder, weil ich den ersehnten braunen größeren Umschlag nicht gefunden hatte. Heute habe ich eine Bewerbung zwischen Frankfurt am Main, Mainz und Wiesbaden abgeschickt. Morgen Nachmittag wird das aktualisierte Arbeitszeugnis im Briefkasten sein und ich kann eine weitere Bewerbung nach Brüssel an die European Cyclists‘ Federation absenden. Am Dienstag werde ich dann mit meinem bepackten Reiserad bis gen Rhein aufbrechen. Der Beginn der Strecke wird recht einfach werden. Ich werde bis nach Remseck am Neckar düsen und dann entlang des Flusses durch Heilbronn und Heidelberg bis nach Mannheim fahren. Bereits vor ein paar Jahren durfte ich diese schöne Strecke (ab Heilbronn) in Erfahrung bringen. Im Januar 2023 fuhr ich bereits von Mannheim nach Mainz bei starkem (teils gefrorenem) Schnee. Ich habe mir vorgenommen circa 150 Kilometer pro Tag zu fahren. Es sollte realistisch sein wenn ich davon ausgehe acht Stunden Schlaf / Ruhe zu haben und mir rund drei Stunden für weitere Dinge wie Pausen machen, Erledigungen vornehmen und optional das Zelt auf- und abzubauen einplane. Das Essen sollte ich dabei nicht vergessen. Immer noch weiß ich nicht genau, warum ich diese Tour unternehme. Sicherlich gibt es da diesen Teil in mir der abgrundtief laut schreit, dass ich ein Versager bin, dass ich nichts auf die Reihe bekomme und dass ich auch niemals etwas in meinem Leben auf die Reihe bekommen werde. Dieser tief in mir verankerte Glaubenssatz hat mich lange Jahre in meinem Verhalten und in meinem Denken beeinflusst. Jetzt liegt neben mir das Buch „Walt Disney“ von Reinhold Reitberger. Ich habe es mir vor ein paar Tagen aus der Stadtbibliothek Stuttgart am Mailänder Platz ausgeliehen. Mit einem Kugelschreiber halte ich meines Erachtens nach relevante Zitate auf separaten weißen Papieren ohne Linien fest, die das Leben und Wirken dieses einzigartigen Mannes geprägt haben. Ich weiß, dass es ein Morgen gibt und dass ich noch eine größere Reise vor mir habe. Marseille, Santiago de Compostela, Lissabon und Tanger sind nur eine Reihe von Puzzlestücken. Hoek van Holland, Paris, Brüssel, London und das Nordkap werden sich ihnen noch anschließen. Am Ende des Tages (am Ende meines Lebens) wird das Bild glücklicherweise vollständig sein. Jetzt bin ich nicht in Gänze blind. Aber ich habe noch meine blinden Flecken und werde diese vermutlich noch mit vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren haben. Kann mir das einen Trost geben? Habe ich wahrlich die Wahl, in welche Richtung ich gehe? Oder bin ich meinem Schicksal ausgeliefert? Wenn ich beispielsweise entlang des Rheins fahre kann ich nur bedingt nach rechts fahren, wenn sich dort der Fluss befindet. Ich kann über eine Brücke fahren oder ein Boot nehmen, dass mich auf die andere Seite bringen wird. Mit etwas Glück werde ich auch schwimmen können. Fraglich ist es jedoch, ob mein bepacktes Rad auf der Oberfläche treiben wird. Morgen wird ein langer Tag werden. Bereits jetzt stehen die Satteltaschen im Treppenhaus. Die wesentlichen Dinge habe ich gepackt. Es ist alles ein riesiger Prozess. In mir habe ich ganz tief verankert, dass ich nächstes Jahr wieder nach Südamerika gehen und dazu noch die kanarischen Inseln und Algerien bereisen werde. Wie ich das alles anstellen werde? Freilich bin ich ein Künstler und ich besitze noch ein paar Asse im kurzärmeligen Hemdsärmel, die mir bei dem ein oder anderen Vorhaben nicht unbedingt abträglich sein werden.
Wieder schreibe ich. Seit drei oder vier Tagen schreibe ich wieder. Ich schreibe, weil ich schlaflose Nächte habe, weil ich weiß, dass ich noch nicht am Ziel angelangt bin, weil es in meinem Kopf rumort und weil ich meinen kleinen Beitrag leisten möchte, diese Welt zu einem schöneren, besseren und glücklicheren Dorf werden zu lassen. Wieder muss ich es mir selbst beweisen. Ich muss mir beweisen, dass ich in ein paar Tagen bis nach Hoek van Holland fahren kann. Im Prinzip weiß ich, dass ich es schaffen werde. Warum also soll ich es dann überhaupt noch machen? Ich könnte in den Tag hineinleben, weiter viel Kaffee trinken und mir einreden, dass ich glücklich bin. Dann wäre ich allerdings nicht in der Realität an diesem Punkt an der Nordsee gewesen. Dann wäre ich noch nicht am Ziel. Wenn einem etwas wichtig ist, dann wird man Wege finden es zu machen. Ich habe nur bedingt viel Geld um diese Radtour zu unternehmen. Ich brauche allerdings kein Benzin oder Diesel und auch keine Unterkunft. Ich nehme mein Zelt mit und werde im öffentlichen Raum bei Friedhöfen oder sonstigen Einrichtungen Trinkwasser erhalten. Ich kann mir eine große Portion Reis kochen, damit ich für Tag 1 eingedeckt bin.
Wenn ich auf die Karte der Wege schaue, die ich mit dem Rad zurückgelegt habe, dann erscheint es mir selbstverständlich. Die blauen Wege sind die Routen die ich fuhr. Die grünen jene, die ich fahren werde. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt unseres großen blauen Planeten. In meinem Kopf ist diese Leistung gar nichts wert. Ich vergleiche mich mit dem Menschen, der mit dem Fahrrad um die Welt fährt und im besten Fall noch durch die Ozeane schwimmt.

Wurden wir tatsächlich dazu geboren unsere Träume zu verwirklichen? Ist es wirklich an uns, unseren Träumen Leben einzuhauchen? Wird die Sehnsucht mit dem Gehen unserer Schritte immer mehr an realen Konturen gewinnen? Wo werden wir letztlich landen?
Die Uhr dreht sich immer weiter. Es gibt kein Zurück und es gab noch niemals eines. Ich stehe vor einem weiteren Scheideweg. Es gibt keine Verlierenden im Leben. Es gibt einzig temporäre Phasen und Situationen. Unweigerlich bewegen wir uns als Menschheit immer weiter auf das Morgen zu. Es gibt keine Abgehängten oder Süchtigen. Jeder vermeintlich „Süchtige“ ist einzig in seinem Verständnis süchtig. Er ist ein ganzheitliches gesundes Wesen so wie jedes vor ihm. Wieder klärt sich mein Bewusstsein. Überflüssiges zieht vorbei, löst sich auf, Grundlegendes tritt an die Oberfläche. Alles verändert sich. Alles wandelt sich. Ich bin angekommen im Paradies, im Land der reichen irdischen Güter. Honig und Milch, gedeihendes Grün und ein azurblauer Himmel umgeben mich. Meine Fußsohlen berühren den weichen Erdboden. Eine Träne rinnt meine Wange hinunter. Ich weiß, dass ich bis an diesen Punkt gekommen bin. Nicht ohne Grund stehe ich hier. Manchmal müssen wir uns nach unzähligen Kapiteln im tiefsten Loch unserer gesamten Existenz befinden. Doch auf dem Weg haben wir nicht nur Werkzeuge sondern auch Wissen gesammelt. Wir können uns ein Katapult bauen, aus dem wir uns an einen so hohen Punkt wie noch niemals zuvor schießen können. Alles ist möglich. Nichts ist unmöglich. Du bist dein größter Feind und dein größter Verbündeter. Du kannst dich selbst hassen oder du kannst dich lieben. Du kannst dich verleugnen oder du kannst dich so annehmen in deiner unperfekten und unvollendeten Art mit allen Makeln und Schwächen. Du kannst dich für deine Schwächen verdammen oder du kannst sie als Wachstumspotentiale erkennen. Du kannst dir Vorwürfe machen noch und nöcher oder du kannst den Tatsachen ins Auge blicken. An manchen Tagen musst du das Leben eines Dudes und an manchen Tagen das Leben eines IP Mans führen. Du wirst der Versuchung standhalten können. Du wirst an einen Punkt gelangen, an dem du dich noch niemals zuvor befunden hast. Du wirst siegen am Ende des Tages.
Ob es von Bedeutung ist, was du machst, magst du dich fragen. Doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass du dich noch nicht in Gänze angenommen, gefunden und gewertschätzt hast. Es fehlen noch winzige Bausteine. Finde wieder den Mut um dich so lange im Spiegel zu erblicken. In der Gegenwart wirst du an einzelnen Tagen weiter kommen als in der Vergangenheit in einem gesamten Jahr. Alles hat sich verändert. Alles verändert sich. Henry Ford, Albert Einstein, M. C. Escher, Andrew Carnegie oder Walt Disney waren einst kleine Kinder so wie du. Marie Curie, Jane Goodall, Isabel Allende und Anne Hidalgo konnten in einer gewissen Phase ihres Lebens nicht lesen. Das bedeutet nicht, dass sie meinten, dass sie dumm seien. Sie waren im Begriff zu lernen. Sie waren im Begriff zu gehen. Und sie gingen und sie ließen sich von nichts und von niemandem aufhalten. An den schwärzesten Tagen hat das Licht die größte Macht durch die Oberfläche zu bringen. In dem gefühllosesten Moment wirst du wahrlich spüren was es heißt, ein fühlendes und lebendes Wesen zu sein. Du wirst die Antworten finden. Du hast sie bereits gefunden. Tief in deinem Herzen weißt du es. Es ist in deiner Essenz eingraviert. Du darfst den Mut haben einer Weisheit jenseits deines begrenzten intellektuellen Verstandes zu glauben und zu vertrauen.
Ich muss mir eine Strategie überlegen so wie in „Facing the Giants“. Oder ich fahre einfach drauflos. Entweder am ersten Tag 100 Kilometer, 200 Kilometer oder 150 Kilometer. Oder ich lasse es bleiben. Wir werden etwas nur so lange für lächerlich anerkennen als bis es jemand in der Realität verwirklicht und bereits einen Tag später jeder Mensch mit diesem selbstverständlichen Denken dass es möglich ist durch die Gassen und Straßen über die Pflastersteine der Menschlichkeit läuft. Wir werden erst dann aufgeben, wenn alles verloren ist. Und das wird niemals der Fall sein. Wir müssen uns unweigerlich mit Tatsachen konfrontieren, die offensichtlich sind. Es gibt auf dieser Welt wahrlich nichts was unmöglich ist. Insbesondere nicht im dritten Jahrtausend nach Christus. Es steckt in dir so wie in einem jedem Menschen. Dann wenn du meinst, dass du alles probiert und alles verloren hast, wirst du merken, dass du noch nicht das Ganze gewagt hast.
Wenn du glaubst, dass es möglich ist, dann ist es möglich. Wenn du weißt, dass es an dir ist etwas Großes zu realisieren, dann ist es möglich. Wenn du weißt, dass du noch ein weiteres Mal aufstehen musst, um deine Dämonen zum Erliegen zu bringen um deinen Frieden zu erlangen, dann ist es möglich. Wenn du wieder spürst was es bedeutet mit deinen Flügeln zu flattern, dann ist es möglich. Schließe deine Augen und öffne deine Flügel, die sich auf deinem Rücken befinden. Gehe an den schönsten Kraftort inmitten der Natur und breite deine Flügel in Gänze aus. Lasse dir von niemandem einreden, dass du etwas nicht schaffst, dass du krank seist oder irgendeinen Defekt hättest. Wage es nicht nur von etwas Größerem zu träumen, sondern wisse es. Rede nicht über Menschen, die Berge versetzten, sondern versetze mit deinem Glauben Berge. Glaube nicht, dass etwas möglich ist, sondern beweise es. Beweise es einzig dir selbst. Du bist dein größter Feind und dein größter Verbündeter. Wenn du weißt, dass es möglich ist, dann ist es möglich.
Erst wenn sich Gänsehaut über deine Haut zieht und Tränen aus deinen Augen strömen, dann ist es dir wirklich wichtig, eine Sache zu verwirklichen. Erst wenn du dein Leben aufs Spiel setzt für eine Sache weil es keine Alternative gibt, dann wirst du Erfolg haben. Erst wenn du deine beiden Handflächen öffnest um alles loszulassen was du krampfhaft festgehalten hast, dann wirst du wirklich annehmen können, was für dich bestimmt ist. Erst wenn du an deinen Ursprung zurückkommst wirst du den Schlüssel finden, der alles verändern wird. Erst wenn du deine Maske abziehst wirst du leben. Erst wenn du auf den Boden fällst wirst du die Kraft finden um aufzustehen und so hoch zu gehen wie noch niemals zuvor. Erst wenn du dich mit dem Rücken an der Wand befindest wirst du – nachdem du die gesamte Situation über einen nicht unerheblichen Zeitraum in Gänze gut analysiert hast – das Spiel nicht nur mitspielen, sondern die Spielregeln nach deinen eigenen Vorstellungen umschreiben können. Du bist nicht gekommen um zu verblassen. Du bist gekommen um zu bleiben. Du bist nicht gekommen um dich hin- und herschubsen zu lassen. Du bist gekommen um den Urgewalten standzuhalten. Du bist nicht stumm, weil du nicht weißt, was du sagen sollst, du bist stumm nur, weil sich der passende Moment noch nicht ergeben hat.
Es geht niemals darum, warum etwas nicht möglich ist. Es geht einzig darum, wie etwas möglich ist. Es muss nicht an dir sein alles auszuführen. Es kann gar nicht an dir alleine sein. Du bist ein Fragment in diesem riesigen Kosmos. Vertraue dich bedingungslos den göttlichen Fügungen an. Reichtum wird nicht aus Reichtum generiert. Reichtum wird in der Armut geboren und wird aus deiner Essenz erschaffen. Du bist nicht du, wenn du nicht du selbst bist. Du kannst gar nicht glücklich sein, wenn du nicht weißt, wer du bist. Du kannst nicht herausfinden, was du selbst wirklich willst, wenn du es stetig anderen Menschen recht machst. Du kannst nicht erhalten was du willst, wenn du nicht „Nein“ sagen kannst. Du wirst keinen Erfolg haben, wenn du dein Leben lang darüber nachdenkst, was andere Menschen über dich denken. Du kannst nicht stehenbleiben um zu springen. Du musst springen. Du musst bedingungslos glauben. Du musst vertrauen. Du musst wissen, dass es an dir ist. Du musst einem Fähnchen im Wind gleich hin- und hergetrieben werden um früher oder später deine eigene Richtung einzuschlagen. Du musst das Perpetuum Mobile in Bewegung setzen. Du musst den Vorhang beiseite ziehen und das Fenster öffnen. Du musst inmitten der schwärzesten Schwärze aufwachen. Du musst mit dem Kopf durch die Wand rennen wenn es noch keine Türe gibt in dem Raum da du dich befindest. Du musst dich selbst so annehmen wie du bist. Du musst deine eigene Geschichte schreiben.
Alles muss gegen dich laufen, damit du abhebst. Du musst dich selbst verlieren, damit du dich findest. Du musst abgehängt werden, damit du deinen eigenen Weg findest. Du musst verlieren um wertzuschätzen, was du für selbstverständlich erachtet hast. Du musst den Fernseher ausschalten um zu lesen. Du musst das Buch zuklappen um anfangen zu schreiben. Du musst gehen um anzukommen. Du musst im tiefsten Zentrum deines Seins versinken und dich dort zu ankern, damit du Du selbst bist. Du musst dich erden, damit dich nichts mehr aus der Fassung bringen kann. Du musst glauben. Manchmal brauchst du Leonardo da Vinci, Kopernikus und Steve Jobs, damit du dich selbst findest. Manchmal brauchst du „High Crimes“ und „The Big Lebowsky“, damit du dich selbst findest. Manchmal musst du das Leben eines asketischen Mönches leben und manchmal musst du Nihilist sein, damit du dich selbst findest. Manche Menschen schauen sich Filme und Dokumentationen über die Niagara-Fälle an, andere besichtigen sie und Dritte stürzen sich mit begrenzter Lebenswahrscheinlichkeit dahinunter.
Die einen sehen im Anbruch eines neuen Tages eine Myriade von Möglichkeiten. Andere verzweifeln. Finde Lösungen und keine Ausreden. Suche Inspiration und keine Desillusionierung.
Erst wenn du zu 100 Prozent ehrlich mit dir selbst, ehrlich mit deinen Nächsten und ehrlich gegenüber Gott aka dem Universum bist, dann werden deine Gebete ihre Wirkung entfalten können. Erst wenn du dich selbst umarmst, dann wirst du dein Gegenüber lieben können. Erst wenn du gibst, dann wirst du erhalten. Erst wenn du dich von einer Erwartungshaltung löst, dann wirst du frei sein. Erst wenn du die Kunst der Vergebung praktizierst, dann wirst du empfinden, was wirklich ist. Erst wenn du dich in der Hölle befindest, dann wirst du wissen, dass es die Hölle auf Erden gibt und dass es demzufolge nicht ganz verkehrt wäre, nach dem Himmel zu streben. Erst wenn du weißt, dass du mehr bist als dein Körper, mehr bist als deine Leistung, mehr bist als deine Werke, dann wirst du wissen. Erst wenn du dir eingestehst, dass du ohne die Aufwendung von Energie kein Resultat erzielen kannst, wirst du aktiv werden. Erst wenn du Vertrauen missbrauchst, dann wirst du dir bewusst werden wie es wirklich ist, dir selbst nicht zu vertrauen. Erst wenn du deine verlorenen Seelenanteile integrierst, dann wirst du aufhören zu suchen.
Meine Realität verändert sich. Alles verändert sich. Ein Teelicht brennt, ich esse einen Teller voll Reis mit Kichererbsen und Sojasauce. Es ist eine Schnapsidee in sechs Tagen mit der ausschließlichen Aufwendung eigener Körperenergie in Hoek van Holland sein zu wollen. Aber es ist möglich. In meinen Gedanken bin ich bereits dort. In meinen Gedanken habe ich bereits all die Bücher die ich schrieb verkauft. In meinen Gedanken schmeckt das Essen ausgesprochen gut. In meinen Gedanken bin ich Walt Disney.
Wie möchte ich wahrgenommen werden? Wie möchte ich anderen Menschen in Erinnerung bleiben? Was möchte ich weitergeben? Wie wird es sich anfühlen, wenn ich in Hoek van Holland mit dem „Bleu de Marseille“-T-Shirt stehen werde? Wie wird es sein, wenn ich dann in die Nordsee springen werde? Wie viele Möwen werde ich sehen? Wie warm wird der Sand unter meinen Fußsohlen sein? Wer wird mich, mein Fahrrad, die Nordsee, den Himmel und den Horizont fotografieren? Was wird in dieser kommenden Arbeitswoche realisiert werden? Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit? Welche Gedanken werden in mein Bewusstsein fließen?
Ab wann wusste Walt Disney, dass er Walt Disney und nicht Bill Tytla war? Welche Gedanken hatte Steve Jobs wenn er ins Bett ging? Was träumte er?
Ängste und Zweifel tauchen auf. Über alles. Ich sage mir wieder, dass es förderlich wäre, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das Eigentliche, auf das, was ich wirklich gut kann. Seit jeher war es das Schreiben. Mein Körper zieht die Energie aus den gekochten Reiskörnern und den Kichererbsen. Ich versinke immer tiefer im Zentrum meines Seins. Ich halte kurz einen Bleistiftstumpen in meiner linken Hand doch lege ihn danach wieder auf den Tisch, damit ich mich auf das 10-Finger-Schreiben konzentrieren kann.
Gerne wäre ich jetzt in Barcelona, das dritte Mal auf den Stufen auf dem Weg zum Turm an der Passionsfassade, gerne würde ich jetzt die magische weiße Magnetkarte besitzen, die mir Zutritt zu jedem Gebäude, zu jedem Fahrzeug und zu jedem Ort dieser Welt beschafft. Gerne würde ich jetzt auf die Straße gehen und dann immer schneller rennen, meine Flügel ausbreiten und bis zu ihr fliegen. Gerne würde ich eine siebenstellige Zahl (mit einem Plus davor) auf meinem Kontoauszug sehen. Gerne würde ich die Zeit auf Ewigkeiten anhalten.
Aber so wie ich hier sitze erkenne ich, dass ich mich eigentlich ganz schön viel mag. 1,84 Meter sind meines Erachtens nach die perfekte Körpergröße für mich. Ich bin gesund, habe zwei Hände und zwei Beine. Ich werde mich am Dienstag auf das Fahrrad setzen und mir meinen Traum des Rheinradweges erfüllen und dabei ganz schön viel an meinen Vater denken. Ich werde bald das Buch „Ulurus Dream“ in meinen Händen halten. Ich werde am Nordkap stehen und mein Fahrrad in der Hand halten. Ich werde mein Kind in meinen Händen halten. Ich werde aufgehört haben Versprechen zu machen, die ich gar nicht einhalten kann. Ich werde mich nicht mehr verstellen. Ich werde einfach an dem Ort sitzen da ich mich befinde und da sitzen. Ich werde meinen Körper spüren, ich werde atmen, ich werde wissen, dass mein Herz kontinuierlich schlägt, ich werde beobachten und ich werde denken. Ich werde dem Menschen, der mich einst erdrückte, vergeben und damit Frieden schließen. Ich werde sehen was wirklich existiert.
Ich höre „Moon Song“ von Edo & Jo. Es ist 19:32 Uhr, mein Smartphone hat einen Akkustand von 14 Prozent und vor mir liegt der eine Teil der Pilgerkette, die ich an dem Morgen kurz vor Portugal hinter Santiago de Compostela auf dem Camino Portugues von dem alten Mann erhalten habe. Sie ist mehr als ein Anhänger. Sie ist der Weg für mich und zeigt mir wie wichtig es ist, sich auf die Reise zu begeben. Sie verbindet mich mit ihr. Sie ist der Gegenwind und der Funken Hoffnung, die Glut im Feuer der Träume und die Träne auf meiner Wange, die ich bei all den Abschieden hatte. Diese Kette ist ein kleiner materieller Gegenstand ohne einen vermeintlich großen Wert. Aber für mich ist sie ein Zeichen, dass nichts unmöglich ist.
Ich richte mich auf, knete meine Hände und blicke in das brennende Teelicht. Ich weiß, dass es möglich ist. Ich weiß, dass es eine Antwort auf eine jede Frage auf dieser Welt gibt. Auch wenn sie manchmal einzig in der Stille zu finden ist. Vor mir hängt ein mit Glitzerstaub bedeckter weißer Engel von der Wohnzimmerlampe. Im Garten ist es grün. Einen Großteil der Dinge die ich in diesem Jahr 2024 erreichen wollte habe ich bereits erreicht. Das Jahr begann in Ecuador wie ich fast meinen Rückflug verpasst hätte. Nun sitze ich hier. Ich war zwei Mal in Barcelona, in Marseille, in Pamplona, in Cee, in Porto und in Figueira da Foz. Ich war in Tavira und in Tarifa (es sind zwei unterschiedliche Orte), in Vejer de la Frontera und in Perpignan. Endlich habe ich Toulouse kennengelernt. Ich habe bereits rund 5.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt. Ich habe „Heal your Heart – El Diario“ und „Ein neuer Weg“ beendet. Ich habe recht viel Kaffee getrunken und mindestens genau so viele Tränen vergossen. Aber ich glaube, dass es gute und lebendige Tränen waren. Es waren Tränen, die auf das „Plant your Dreams“-Land unter meinen Füßen geflossen sind. Aus den Samen die ich gepflanzt habe wuchsen Pflänzchen. Es kamen recht viele Nacktschnecken. Immer wieder kamen graue Regenwolken. Sie haben der Natur Wachstum beschert.
Ich stehe auf einer Bühne. Ich habe den Mut gefunden mein Schneckenhaus in meinen Rucksack zu packen, die kleine Pilgermuschel fest als Kraftgeber in meiner rechten Hand zu halten und zur Bühne zu gehen. Ich habe den Scheinwerfermenschen in der Pause darum gebeten die Lichtkegel auf mich zu richten. Er musste lachen. Aber er hat es gemacht. Es war ein merkwürdiges Gefühl dort oben zu stehen. Ich war verdammt aufgeregt, obwohl dort niemand im Publikum saß. Aber ich wusste, dass er bei mir ist, dass sie bei mir ist, dass sie bei mir sind. Und noch ganz schön viele Menschen mehr. Ich dachte irgendetwas sei zu Ende wenn ich etwas erreicht hätte. Ich habe das Gesamte mit einem Teil verwechselt. Aber leben wir nicht dazu um zu lernen? Wir können gar nicht perfekt sein. Es gibt keine Probe in diesem Leben. Das Leben ist die Probe. Außer du hast möglicherweise schon 16 Inkarnationen auf deinem Buckel, doch selbst dann wirst du nicht perfekt sein. Also nehme dich so an wie du bist. Male deinen größten Dämonen auf ein Papier und schaue ihn an und dann frage dich, ob du ihn mit Farbe verkleiden kannst. Frage dich, ob du diesem Dämonen einen Namen geben kannst und ob Dämonen nicht auch ein kleines Stück weit freundlich sein können. Frage dich, welche Geschichten dein Dämon zu erzählen hat. Frage dich des Weiteren, ob dir dein Dämon dabei helfen kann, die Dämonin, die du kennengelernt hast, besser zu verstehen. Frage dich, ob du dein gesamtes Leben lang von anderen Menschen abhängig sein möchtest. Frage dich, ob du dich selbst nicht bereits schon vor Ewigkeiten verwirklich hast.
Frage dich, wenn du vor dem Geburtshaus Charles Bukowskis in Andernach am Rhein stehst, was diesen Menschen angetrieben hat. Frage dich, warum sich ein Mensch umbringt. Frage dich, warum aus der Raupe ein Schmetterling geboren wird. Frage dich, warum du einst angefangen hast. Frage dich, warum aus dem Coffee-Cup-Poem auf dem weißen Kaffeepappbecher an dem kleinen Tisch in dem Motel in Albuquerque zwischen der Route 66 und dem Panamerican-Highway nicht mehr geworden ist. Vor knapp 365 Tagen hatte ich meinen letzten regulären Arbeitstag. Was auch immer das bedeuten mag. Es gibt jene die meinen ich wäre 365 Tage lang faul gewesen. Ich weiß, dass in dem Tal in Ecuador nun bald Bananen geerntet werden, für deren Eltern ich einst Löcher grub, sie einpflanzte und goss. Ich weiß, dass ich das köstlichste Himmelsspektakel auf meinem Schicksalsplatz no. 2 auf dem Schicksalsstein auf den Quinini-Bergen in Kolumbien bezeugt habe. Ich weiß, dass ich mein Herz ein paar Mal verloren habe auf meinem Weg. Ich habe es in dem Hostel in Helsinki so wie in dem Hostel in Quito und in Fusa verloren. Und zugleich verweilte es die gesamte Zeit zwischen der Holzbank in der Nähe des Europäischen Fernwanderweges E12 in Katalunien. Ich habe einen Tukan beim Fliegen bewundert und wäre fast von einem Vulkan gestürzt. Ich habe frische Kokosnüsse gegessen und nicht gewusst, dass es so schwierig (für mich unmöglich) ist, sie aus der Höhe zu holen. Ich habe in einem bezaubernden Holzhaus im Los Cedros Waldschutzgebiet zwei Nächte verbracht. Ich habe den Regentropfen beim Fallen zugehört und gelernt, dass es ausgesprochen viele unterschiedliche Arten von ihnen gibt. Ich habe Ameisen dabei beobachtet, welche Wege sie wie zurücklegen. Und festgestellt, dass ihre Bewegungen zumindest für mich nicht vorhersehbar sind. Und dennoch kommen sie zurecht. Wie es mir scheint ausgesprochen gut und harmonisch sogar.
Es gibt kein Patentrezept für dieses Leben so wenig wie es einen Blueprint zum Erfolg gibt. Das Gute kann zu einer ausgesprochen komplexen Sache werden – außer du bist einfach aufmerksam und machst es.
Das Leben kann ausgesprochen einfach und angenehm sein. Doch dafür musst du aufhören dir selbst Vorwürfe zu machen und anfangen das Chaos zu ordnen. Du darfst dankbar sein für alles was du besitzt. Du darfst annehmen.
22:35 Uhr
Und ja, möglicherweise muss dir das Glück immer wieder entschwinden, damit du immer gewitzter darin wirst, ein Fänger des Glücks zu werden. Du darfst nichts unversucht lassen. Du musst Hals über Kopf von einem Abenteuer ins nächste stolpern, du musst in den Zeiten ihrer Abwesenheit die Gedanken an sie immer größer werden lassen und du musst in der Nacht deinen Kopf stets zu den Sternen wenden und sie dort wahrhaftig auch sehen – egal, wie viele Wolken sich dort befinden. Du musst darauf vertrauen, dass sich all die kleinen und großen gegangenen Schritte früher oder später auszahlen werden. Und sie werden sich auszahlen, das steht außer Frage. Gerade läuft es recht gut mit dem Schreiben: „Ulurus Dream“ wurde geboren (noch nicht in Gänze) und „Die Tinte Gottes“ gewinnt langsam an Fahrt. Du musst dich immer weiter in das unendliche Buch der Menschheit eingravieren. Du musst immer tiefer in der Essenz versinken um Zeitlosigkeit zu erlangen. Vertraue darauf, dass wenn du fortwährend einen Stein auf den anderen setzt Großes geschaffen wird. Gebe nicht auf, nur wenn andere in deinem Umfeld nicht an dich glauben. Du kannst es ihnen nicht übel nehmen. Aber das bedeutet, dass du weitaus mehr und größer an dich selbst glauben musst. Gehe deinen Weg voller Vertrauen und mit einer erhobenen Brust. Sei dir gewiss, dass egal wie viel dir genommen wurde, du stets das bei dir trägst, was dich auszeichnet und was dir niemand nehmen kann. Lasse die Zwiegespräche in der Stille mit Gott und dem Universum immer inniger werden. Du befindest dich auf der Reise. Du hast dich seit jeher auf der Reise befunden. In Luxemburg, in Griechenland, in Ägypten, in Italien, in Schweden und in Portugal. Du wurdest geboren um du selbst zu sein. Du bist gekommen um auf Ewigkeiten zu bleiben.
Walt Disney – Montag, 24. Juni 2024
16:16 Uhr
Die Uhr tickt. Noch kann ich einen Rückzieher machen. Mein Fahrrad fährt sich sehr gut und heute fuhr ich ein paar Kilometer entlang des Neckars. Ich fragte mich oder vielmehr ihn, ob ich dort morgen weiter bis nach Heidelberg, Heilbronn und zum Rhein fahren sollte. Der Neckar antwortete mir, dass ich ein Freund von ihm bin. Vielleicht bin ich nicht unbedingt sein bester Freund, doch er würde sich freuen, wenn ich die Kilometer mit ihm verbringe, bis er dann in den Rhein fließt. Ich habe es als ein wichtiges Zeichen aufgefasst. Heute morgen bin ich kurz um 05:00 Uhr aufgewacht. Es war beinahe taghell. Die Sonne wird heute um 21:30 Uhr untergehen. In Summe bedeuten das also 17 potentielle Stunden auf dem Fahrrad sitzen. Angenommen, ich habe einen Schnitt von 19 km/h, dann könnte ich 323 Kilometer alleine an einem Tag fahren. Vermutlich hätte ich dabei nur begrenzt viel Freude. Aber die 200 Kilometer könnten schon drin sein. Das Wetter ist auf meiner Seite, meine Beine sind auf meiner Seite und der Neckar ist auf meiner Seite. Was also kann schon schief gehen?
18:49 Uhr
Gefühlt bin ich so aufgeregt wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Ich könnte es immer noch bleiben lassen. Ich könnte es bleiben lassen morgen um 05:00 Uhr mit dem bepackten Fahrrad loszuziehen. Ich könnte dieser Stimme in meinem Kopf Beachtung schenken, dass es ohnehin sinn- und zwecklos ist, dass ich niemals ankommen werde und dass es keinen Unterschied darstellt, ob ich etwas erreiche. Ich habe Tränen in meinen Augen wie ich diese Worte schreibe, weil ich tief in mir weiß, dass das nicht die Wahrheit ist. Wenn ich auf meine beiden offenen Handflächen schaue dann weiß ich, dass ich am Sonntag an der Nordsee sein werde. Dann weiß ich, dass ich notfalls rennen werde falls mir auf dem Weg mein Fahrrad geklaut wird. Ich habe ein zweites Mal eine Bewerbung nach Brüssel geschickt. Ich fühle mich leichter und zugleich verdammt aufgeregt. Was verspreche ich mir von dieser weiteren Reise? Ich habe mir einen „großen Lebenslauf“ erstellt. Er hat nur recht wenig mit dem „klassischen Lebenslauf“ gemeinsam. Darin habe ich all die Reisen und Nebentätigkeiten aufgeführt, die früher keinen Platz in meinem Lebenslauf hatten. Doch ich habe sie einfach niedergeschrieben und mir vor Augen geführt, was ich bereits alles in meinem Leben erreicht habe und wann ich wohin gereist bin. Es gibt keine Zufälle oder Fehltritte in diesem Leben. Es gibt immer einzig Erfahrungen. Nur wer bestimmte Dinge nicht weiß wird in den Augen eines Weiseren vermeintlich „einen Fehler“ machen.
Lange habe ich gestern Abend die Biografie von Walt Disney gelesen. Dieser Mensch hat sich nicht unterkriegen oder verunsichern lassen. Er hatte einen großen Traum und er war aktiv. Er ging seinen Weg und er hat Erfahrungen gesammelt. Er blieb beharrlich und investierte die kurzfristigen Gewinne stets in das weitere Produkt um dieses kontinuierlich mit begrenzten Mitteln zu optimieren. Er war ehrlich gegenüber dem Universum. Er musste enttäuscht werden und negative Erfahrungen sammeln um echter gegenüber dem Leben zu werden.
Heute ist Perpetuum-Tag no. 1.040. Am Perpetuum-Tag no. 1.046 werde ich ankommen. Es gibt keine Alternative. Danach werde ich bereits ein kleines Stückchen weiter an London und am Nordkap sein. Ich werde besser Fahrrad fahren und mich noch stärker auf das unmittelbar vor mir liegende Ziel konzentrieren können. Ich werde Gedanken haben so eine Tour niemals wieder zu machen. In Rotterdam werde ich mir einen Magneten für meinen Spiegel kaufen und ihn zu den Magneten aus Vigo, Pamplona, Lourdes, Mirepoix, San Agustín, Barcelona, New Mexico, Los Angeles, München, von ihr, Ägypten, Alejandria, Riga, Toulouse, Milano, Weil am Rhein – Basel, Quito, Stuttgart und Tanger hängen. Ich werde ein paar Tränen leichter sein und ein bisschen Bräune mehr haben. Ich werde die zehn Exemplare „Stamps of Eternity“ und die 30 Verlagsprogramme verteilt haben. Ich werde meinem originalen Geburtsdatum nach eine knappe Woche älter sein.
Alles hat sich verändert. Ich bin bereits am Ziel angelangt. Ich habe erkannt, dass es nicht genügt mich ein Mal zu umarmen um mich zu lieben. Ich muss oder vielmehr darf mich einen jeden Tag erneut umarmen und lieben (lernen).
21:38 Uhr
Ich liege im Bett und zwei Teelichte brennen. Morgen früh wird es losgehen. Mein Herz pocht wie wild. Für was mache ich das alles? Erhoffe ich mir etwas von der Tour? Der Tag heute war schön und unglaublich lang. Endlich habe ich den Holzbriefkasten in der Werkstatt meines Vaters beendet. Ich war bei der Post und einkaufen, bin rund 22 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren, habe Wäsche gewaschen und aufgehangen, gekocht, gepackt, geschrieben, die ECF-Bewerbung abgesendet und den Film „Wish Man“ fertig angeschaut. Des Öfteren flossen Tränen. Morgen ist ein neuer Tag und ich bin gespannt, wo ich einschlafen werde. Innerlich habe ich mich bereits länger zu dieser Tour entschieden. Nun ist es soweit.
05:06 Uhr morgens – Dienstag, 25. Juni 2024

Die bezaubernde Morgenstimmung mit einem abnehmenden Mond am Himmel 
Die Mündung der Rems in den Neckar 
Das „MahnDenkMal“ Schießtal zur Erinnerung an 13 Einzelschicksale, die in den Jahren 1944 / 1945 ausgelöscht wurden 
Die traumhafte Tallandschaft mit den Weinbergen 
Willkommensschild für Radfahrende in neun Sprachen in Heilbronn 
Der schön angelegte Grünzug als Bestandteil der Bundesgartenschau 2019
09:30 Uhr – Hinter Heilbronn, 81,1 km
Gute vier Stunden sitze ich jetzt im Sattel. Am Morgen kam ich etwas später als geplant um 05:04 oder 05:06 Uhr los. Das vollbepackte Fahrrad fährt sich super, das Wetter ist ein Traum. Es läuft gut bisher, die Strecke am Neckar verläuft weitestgehend im Tal umgeben von Weinreben. Seit Heilbronn bin ich auch wieder auf dem Paneuropa-Radweg, auf dem ich vor ein paar Jahren von Nürnberg via Freiburg im Breisgau bis nach Straßburg pedalierte und dort aufgrund des Sturzes frühzeitig abbrechen musste. Ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Vielleicht wird es mir dieses Jahr jedoch vergönnt sein, den Paneuropa-Radweg bis Paris zu beenden und die Tour via Brüssel und London fortzusetzen.
14:40 Uhr – Campingplatz bei Neckargmünd
Ich beende den Tag im Hinblick auf das Fahrradfahren für heute.
17:11 Uhr
Ich habe Kopfweh und lag gute zwei Stunden im Zelt. Jetzt fühle ich mich nicht mehr ganz so erschöpft. Über mir ist die Welt zusammengebrochen. Denke ich wirklich, dass ich mit so einer Radtour mein Leben verändern oder auf die Reihe bekommen kann? Ich habe grundlegende Zweifel. Tausende Stunden habe ich in das Schreiben und in „Perpetuum Publishings“ investiert. Ich habe es gemacht, weil es mir Freude bereitet, weil es mir sehr viel bedeutet und ja… weil ich in anderen Bereichen unzufrieden und nicht ausgefüllt war. Jetzt habe ich das Geld vom Arbeitsamt erhalten und befinde mich in den Augen der meisten vermutlich im Urlaub. Sicher, was mache ich auch sonst. Dass ich Fahrrad fahre und schreibe und nicht an einem Schreibtisch sitze, scheint nicht sonderlich viele Menschen zu interessieren. Auf dem Sattel heute dachte ich an den Film „Wish Man“ und an meine Wünsche eine Spendenkampagne für eine Rehabilitationsklinik im Schwarzwald zu sammeln. Ich möchte die Welt verändern – zumindest ein kleines bisschen. Vor mir wendet das Passagierschiff „Europa“, der Himmel ist strahlend blau. Ich bin erschöpft und werde seelisch ein weiteres Mal in meinem Leben auf die Probe gestellt. Jetzt bin ich wieder draußen an der frischen Luft. Wieder packe ich meine dunklen Gedanken in eine große Glasflasche, verschließe sie und werfe sie in den Neckar. Wenn ich schnell fahre, werde ich sie möglicherweise noch einmal sehen, ihr zuzwinkern und mich verabschieden. Das Leben ist sonderbar und rätselhaft. Es gibt nicht das Patentrezept. Eine Lektüre habe ich nicht mitgenommen, das wird mich auf die Probe stellen. Ich dachte zu wissen, wie alles funktioniert, dachte, dass ich angekommen sei. Nun heißt es ein weiteres Mal: „Liebe dich selbst und nehme dich in deiner Schönheit ganz so an wie du bist.“ Es ist ein angenehmes Gefühl, ich erhalte Tränen in den Augen wenn ich daran denke. Es ist nicht förderlich, wenn ich in Gedanken eine Negativität gegenüber Menschen oder einer Sache habe. Ich muss vergeben lernen. In erster Linie mir selbst. Viel gibt es noch, was ich zu lernen habe in diesem Leben.
9.135 Kilometer bis San Francisco – Mittwoch, 26. Juni 2024

Das Denkmal zu Ehren des in Schlesien geborenen Schriftstellers Joeseph von Eichendorff kurz vor Heidelberg 
Der blühende Penta-Park als Anziehungspunkt für Insekten und erholungsbedürftige Stadtmenschen in Heidelberg 
Kurz hinter Mannheim am 26. Juni 2024 um 11:40 Uhr bei knapp 30 Grad Celsius 
Die gleiche Stelle am 21. Januar 2023 um 08:15 Uhr bei um die 0 Grad Celsius 
Die Theodor-Heuss-Brücke als Querungsmöglichkeit über den Rhein 
Zwischen den beiden Fahrtrichtungen der von Brest (Frankreich) bis nach Machatschkala (Russland) verlaufenden Europastraße 50 
Kleine Hügel beim Kieswerk Bonnau, die mich an die 6.000 Meter Vulkane in Ecuador erinnern 
Der internationale „Great Wine Capitols“-Wegweiser an der Uferpromenade in Mainz 
Der Mainzer Dom mit dem Tastmodell aus Bronze 
Weitestgehend ruhige Nebenstraße im Neubauquartier Zollhafen
19:24 Uhr – Campingplatz bei Heidenfahrt
Ich liege im Zelt auf einem Campingplatz. Ich spüre, dass es eine Tour ist, bei der ich mich unter Beweis stellen muss. Leider kann ich das Rauschen der Wellen und die ursprünglichen Geräusche der Natur nicht genießen, da hier ein paar Leute mit Motorbooten oder Jetskis die Ruhe und Idylle trüben. Muss man so etwas in Kauf nehmen? Ist es noch zeitgemäß, dass Einzelne die Natur verschmutzen und die Anwohnenden und Touristen, die hier am traumhaften Rhein die Atmosphäre genießen möchten, belästigen? Der Tag war anstrengend. Um 08:30 Uhr verließ ich den Campingplatz unterm Dilsberg mit schweren Beinen. Das war ein Campingplatz mit Wohlfühlkomfort, mit Charme und sehr freundlichen Angestellten. Am Morgen wurde ich gefragt, ob ich mit dem Aufenthalt zufrieden war – dann wechselte ich noch ein paar Worte mit der Mitarbeiterin. Hier bin ich an einem Fleck, an dem es keine Rezeption oder einen Übersichtsplan gibt und vorhin sprach mich eine Frau hier bei meinem Zelt an, dass ich mich auf ihrem Dauercampingplatz befinde. Wo ich mein Geld bezahlte erhielt ich auf Nachfrage einzig die Auskunft, dass ich mir einen freien Platz aussuchen darf. Hier in Deutschland bin ich wieder sehr stark mit mir selbst und mit meiner Zukunft beschäftigt. Heute fuhr ich bei Worms durch eine Wohnsiedlung, in der an jeder zweiten oder dritten Wohnung Deutschlandflaggen hingen – eine sogar über die öffentliche Straße gespannt und in XXL-Version. Ich fuhr auf gut ausgebauten Radwegen und irrte durch die Gegend, da bei Umleitungen keine klaren Schilder (für einen Radfahrer ersichtlich) aufgestellt waren. Einmal rief ich bei der Stadtverwaltung Worms an, da an einer Baustelle der Radweg gesperrt und unmittelbar keine Alternative ausgeschildert war und das „Worms Nord 4-spuriger Ausbau der B9“-Schild unmittelbar neben mir mit einer Kontaktadresse stand. Der Sachbearbeitende konnte mir nicht weiterhelfen, es hätte erst geklärt werden müssen, wer für die Baustelle zuständig sei. Glücklicherweise befand sich eine Anwohnende vor Ort, sie konnte mir Auskunft geben. Viele Radfahrende kamen mir entgegen – ungeachtet ihres Alters mit oder ohne Gepäck. Ich sah gegenseitige Rücksichtnahme aber auch grenzwertigere Situationen. Beispielsweise wollte ein Autofahrer in einem silbergrauen SUV einer entgegenkommenden älteren Radfahrerin auf einem schmalen Wirtschaftsweg partout nicht ausweichen (obwohl rechts von ihm im Gras Platz gewesen wäre) und sie ihm energisch etwas ins geschlossene Fenster zurief.
Ich weiß, dass diese Fahrt mein Leben verändern wird. Es war schon auf dem Jakobsweg so und jetzt ist es wieder so. Diese Erfahrungen, die ich auf meinen Reisen sammle, machen andere Menschen nicht.
Wir haben alle etwas das uns antreibt. Glücklicherweise gibt es kontinuierlich einen Wandel der Zeit, alte nicht mehr passende Systeme werden erneuert und korrupte Menschen oder Politiker werden zur Rechenschaft gezogen. Letztlich siegen das Gute und das Richtige. Wir haben immer die Möglichkeit uns selbst und unsere Umwelt zu gestalten. Wir können durch unsere Aktionen Steine in das Wasser werfen und so die Oberfläche in Bewegung und in Schwingung bringen. Doch dafür müssen wir uns selbst vertrauen.
21:09 Uhr
Gerade geht die Sonne am Horizont kurz über den Bäumen unter. Ich bin immer noch traurig – doch viel löst sich in mir. Tränen kommen in meine Augen und ich werde mir bewusst, wie wichtig es ist, dass man das macht oder dem folgt, was einem Freude bereitet und was man vielleicht ein kleines Stückchen besser kann als andere. Dabei spielt es keine Rolle, was die Eltern oder andere Menschen von einem selbst denken. Wenn man über kurz oder lang das macht, was einen lebendig sein lässt, dann hat man bereits gewonnen. Man darf sich nicht vom Außen einschüchtern oder klein machen lassen, nein, man muss standhaft sein, seine Meinung äußern, aussprechen, was sonst keiner sagt und sich selbst treu bleiben.
Der 50. Grad nördlicher Breite – Donnerstag, 27. Juni 2024

Der paradiesische Rhein 
Die Störche im Naturschutzgebiet Fulder Aue-Ilmen Aue 
Exzellente Fuß- und Radwegeverbindung parallel der linken Rheinstrecke in Bingen am Rhein 
Schnelles und komfortables Fahren auf den Routen der deutschlandweiten Radfernwege 5 und 8 sowie den internationalen Radfernwegen EuroVelo 4 und 15 
Die Kilometermarke 533,00 mit dem Schloss Burg Rheinstein und einer Rennradfahrerin im Hintergrund 
Die Überquerung des 50. Grades nördlicher Breite – ich befinde mich auf einer Höhe mit Vancouver, Prag und Krakau 
Eine Informationsstele mit Übersichtskarte des UNESCO-Welterbes Oberes Rheinmitteltal und einem Zitat des in London geborenen Dichters Lord Byron auf englischer Sprache (mit deutscher Übersetzung) 
Auf den Spuren des Welterbesteigs und des Linksrheinischen Jakobsweges in Bacherach 
Einzigartiger Ausblick auf Rheinland-Pfalz und Hessen 
Weise Worte in den Ruinen der Wernerkapelle (vgl. auch „Der Rabbi von Bacherach“ von Heinrich Heine) 
Das Container-Schubschiff MS Milano, bei dem ich an den Mailänder Dom denken muss 
Hinweise auf die Quelle des Rheins in der Schweiz 
Ein Kindheitstraum wird wahr: endlich stehe ich in den Fußstapfen William Turners 
Turner schaffte es einzig von Koblenz bis nach Bingen, ich werde es bis nach Hoek van Holland schaffen 
Uferpromenade in Weißenthurm mit einheitlicher Bodenmarkierung 
„seven paces“ von Hamish Fulton in Rolandseck, der in 63 Tagen von Bilbao aus bis zur Rheinmündung ging
Gegen 18:00 Uhr – Campingplatz bei Bonn
Ich befinde mich kurz vor Bonn. Der Tag war lang, mit dem Läuten der Glocken fuhr ich um 07:00 Uhr los. Gestern Abend wurde ich von dem Paar eingeladen, auf deren Dauerstellplatz ich mich befunden habe. Ich erhielt ein Bier und wir unterhielten uns. Ich bin dankbar für die Herzlichkeit und die Begegnung mit ihnen. Erst um 23:30 Uhr legte ich mich schlafen und wachte dann gegen 06:00 Uhr auf. Ich glaube, dass ich heute 140 Kilometer zurückgelegt habe. Irgendwann war der Himmel schwarz und meine Kraft ließ nach. Jetzt befinde ich mich auf dem zweiten Campingplatz – der davor glich einer energielosen Abstellfläche für Wohnmobile. Ich merke, wie stark ich Ma. vermisse. Sie ist jetzt im Allgäu bei einem Yoga-Center und hilft mit und ich darf hier meine weiteren Erfahrungen sammeln. Ich spüre wie einfach es ist mir zu sagen, dass ich es nicht schaffen werde bis nach Rotterdam und noch ein Stückchen weiter zu kommen. Aber ich werde es schaffen. Es gibt nicht viele beziehungsweise gar keine Radreisenden außer mir, die solche Distanzen zurücklegen – auf dieser Tour. Manchmal genieße ich es, wenn ich alleine Zeit in der Natur verbringe. Dann wiederum treffe ich Leute, wir kommen ins Gespräch oder fahren Abschnitte gemeinsam. Ich bin gespannt, wie es in den Niederlanden sein wird. Heute traf ich vor einem Supermarkt zwei Niederländerinnen (aus Utrecht), die komfortabel mit dem Fietsbus von ihrer Heimat bis nach Österreich ohne wesentliche Zwischenstopps gefahren sind und von dort aus ihre Tour gestartet haben. Mittlerweile habe ich ein nicht unerhebliches Streckennetz in den unterschiedlichsten Ländern erradelt und weiß, was für Punkte ausschlaggebend für ein genussvolles Erlebnis sind. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringen wird. „Ulurus Dream“ wird ein weiteres Buch werden und ich wünsche mir, dass die drei Teile „Reaching Rotterdam“, „Paneuropa III – Paris – Brüssel – London“ und „Nordkap“ inkludiert sind. Ich weiß, dass es ein gutes Vorhaben wird und sich alles so entwickeln wird wie es sich entwickeln soll.
Nach meinen Reiseeindrücken aus Amerika, aus Spanien und aus Portugal habe ich nun Schwierigkeiten Deutschland wieder kennen- und liebenzulernen. Viel habe ich in der Vergangenheit erhalten, doch ich habe es als selbstverständlich erachtet. Heute fuhr ich durch Andernach, der Ort an dem Charles Bukowski geboren wurde. In dieser Gegend spürte ich seine Energie oder vielmehr die Energie des Ortes, der diesen Schriftsteller geprägt hat. Darüber hinaus habe ich Hinweise auf Lord Byron und William Turner gefunden. Es ist spannend zu sehen, wie viele unterschiedliche Charaktere der Rhein anzieht. Ich merke wie schwierig es für mich ist, all die Industrie zu sehen und mir vor Augen zu führen, dass das ein großer Teil dieser Nation ist und Millionen von Menschen in ihrem Denken und in ihrem Selbstverständnis der Realität prägt. Ich freue mich darauf in das Morgen zu schauen. Bisher habe ich fast alle Ziele und Träume auf meiner „2024 Leinwand“ erreicht. Es fühlt sich schön an wenn ich auf die Fotografien blicke, wenn ich weiß, was ich alles dieses Jahr gemacht habe.
20:28 Uhr
Ich liege im Zelt und mir ist alles zu viel. Die Hitze, die Anstrengung und der Geräuschpegel. So gerne wäre ich an einem Weiher alleine mit den Vögeln und dem Sonnenuntergang. Ich wäre gerne für mich. Wieder gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Ich kann ihn nicht ausstellen. Warum bin ich nicht der Musterknabe, der Anderen stets Freude und Glück bringt? Diese Frage habe ich mir davor schon zig Mal gestellt. Ich möchte mich ganz einfach in allem so wie ich bin annehmen und lieben. Ich möchte in den Spiegel blicken und mein inneres Kind, mein Selbst umarmen. Ich möchte ein fester Bestandteil in dieser Gesellschaft sein, der da ist und unterstützt. Wie es mit dieser Tour weitergeht – ich muss schauen. Es ist schon noch eine gewisse Strecke bis Rotterdam. Morgen soll es kühler werden, das ist schon einmal positiv. Ich darf es auf mich zukommen lassen, es wird schon werden.
Breaking the 200 – Freitag, 28. Juni 2024
22:27 Uhr – Irgendwo am Rhein bei Dornick
Ich liege im Zelt unmittelbar am Rhein. Ich hoffe nicht, dass der Wasserspiegel ansteigt. Um 07:30 Uhr fuhr ich los, erst vor ein paar Minuten bin ich angekommen. Über 230 Kilometer – ein Rekord meiner Radfahrkarriere. Ich habe die fünf Städte Bonn, Köln, Leverkusen, Düsseldorf und Duisburg abgehakt und befinde mich nun kurz vor der Grenze zu den Niederlanden. Zwei Tage habe ich noch, ich glaube, das sollte machbar sein. Heute befanden sich recht viele Schiffe auf dem Rhein – unmittelbar der erste Name des Schiffes, der mir beim Verlassen des Campingplatzes ins Auge stach war INDIGO. Dann – wie ich in Köln an der Uferpromenade war – zog ein Dampfer namens ROTTERDAM an mir vorbei. Ein weiterer Name war MAGELLAN. Gleich wird es dunkel, ich habe weder Essen noch Trinken – ich freue mich auf den Schlaf und morgen auf den ersten Bäcker.
Fiets Liefde – Samstag, 29. Juni 2024

St. Martini und die kleine Version der Golden Gate Bridge in Emmerich am Rhein 
Historischer Wegweiser mit den Kilometerangaben bis Basel und Hoek van Holland 
„fueled by dreams“ in den Niederlanden 
Exzellente holländische Radinfrastruktur auf den Deichanlagen 
Übersichtliche Infrastruktur und Kreuzungsbereiche (hier Ortseingang von Huissen) 
„Gegenseitige Rücksichtnahme“ – kurz vor Arnheim 
Die Beschilderung des EuroVelo 15 als Bestandteil des kommunalen, regionalen und nationalen Radwegenetzes 
Ein Traum aus rotem Asphalt beinahe ohne Ende 
Weitestgehend aussagekräftige Übersichtstafel an einem Knotenpunkt nahe der Stadt Utrecht
20:11 Uhr – Campingplatz bei Schoonhoven
Jetzt bin ich also hier kurz vor meinem Ziel. Es ist schon enorm was man erreichen kann, wenn man sich ein Ziel setzt und beharrlich dafür arbeitet. Heute waren es 144 Kilometer. Am Morgen hatte ich ausgesprochen schwere Beine, mein Körper hatte die Strapazen des Vortages noch nicht verarbeitet. Immer wieder lag ich nachts wach und hatte Angst, dass die kleinen Wellen der recht häufig vorbeifahrenden Schiffe den unteren Bereich des Zeltes nass machen. Ich hatte allerdings Glück und alles blieb trocken.
20:28 Uhr
Regentropfen fallen auf die Zeltplane; den Einkauf mit dem Rad und dem Jutebeutel (ohne Satteltaschen) bis nach Schoonhoven (nochmal circa 3,9 Kilometer einfach) habe ich noch im Trockenen unter einem sehr dunklen Himmel erledigt. Die Preise im Supermarkt waren in Ordnung, der junge Mann an der Kasse war sehr freundlich, löste mir einfach so einen Rabattcoupon ein, was mir 65 Cent sparte und redete dann mit mir auf englisch was ich in den Niederlanden mache, welche Städte ich kenne und und und. Insgesamt ist mein Eindruck ohnehin sehr positiv. Die wenigen Niederländer, die ich kennengelernt habe, waren ausnahmslos sehr freundlich. Immer wieder dachte ich gestern und heute beim Fahren an die Tour von Straßburg bis London via Paris und Brüssel. Ich weiß, dass ich sie dieses Jahr noch machen werde. Meine Ausrüstung ist soweit ganz gut, das Einzige ist eine neue Powerbank, die ich benötige. Die, die ich besitze, fand ich in der Pilgerherberge auf dem Jakobsweg in einer Box mit der Aufschrift „Zum Mitnehmen“ in Estella in Spanien. Ein passendes Ladegerät habe ich dann noch zu Hause gefunden. Sie lädt eine Nacht auf und reicht dann für eine Smartphoneladung.
COMPROMIS – Sonntag, 30. Juni 2024

Kurzer Umweg zur Holländischen Issel 
Schiebeunterstützung für Radfahrende an steiler Brücke 
Die Postkarte meines Vaters, die mich bis… 
… ins Zentrum Rotterdams begleitet hat 
Schönes Aufgreifen des historischen Bezuges in Schiedam – hier zu Ehren der Maimühle 
Kilometer 1.015 mit Windkraftanlage im Hintergrund 
Fair verteilter Straßenraum in Maassluis 
Auf den letzten Kilometern mit dem neuen und dem alten Leuchtturm, seit 1982 Nationales Baudenkmal 
Am Ziel angelangt zwischen der Rheinmündung und der Nordsee 
Die nächsten Ziele warten bereits: New York 5.824, Schanghai 8.934, Kapstadt 9.645 und St. Petersburg 1.831 Kilometer 
Übersichtsplan des Metronetzes Rotterdams an der Station Hoek van Holland Hafen neben der Touristeninformation 
Kostenfreie Fahrradmitnahme in der Metro an Sonntagen und außerhalb der Pendlerzeiten 
Komfortabler einseitiger Zweirichtungsradweg mit Bodenwelle zwischen dem Euromast und dem het Park 
Im Eingangsbereich des Maastunnels 
Hoch frequentierte Rolltreppe für Radfahrende 
Schnell und unkompliziert lässt sich die Höhe überwinden 
Rund 570 Meter ungetrübtes Fahrvergnüngen 
Ein Traum von einem Fahrradtunnel 
An den Wänden sind historisch bedeutsame politische Ereignisse mit Hilfe von Fotografien installiert 
Eines der drei Tunnel-Gedichte des 1948 verstorbenen und in Rotterdam geborenen Schriftstellers Jan Prins 
Das Mural „Birth of a new age“ mit dem niederländischen Sänger Jeangu Macrooy in Rotterdam-Zuid 
Die öffentliche Bibliothek im Stadtteil Zuidplein 
Großes Mural am zentralen Umsteigepunkt mit charakteristischen und identitätsstiftenden Motiven der Stadt
Gegen 17:30 Uhr – Rotterdam
Jetzt sitze ich tatsächlich in Rotterdam in einem Café in der Nähe des Busbahnhofes. Ich bin froh, es letztlich geschafft zu haben. Die letzten Kilometer bis zum Endpunkt am Steg bei Hoek van Holland waren aufgrund des Gegenwindes recht anstrengend. Der Fernbus fährt erst in rund sechs Stunden ab, ich muss schauen, wie ich die Zeit bis dahin gestalte. Vorhin in der Metro wäre ich beinahe eingeschlafen. Die letzten Tage – oder die Tour insgesamt – waren doch anstrengend. Nun geht es darum, den Alltag, das Normale oder mein Leben zu planen und umzusetzen. Ich bin gespannt, was im Morgen auf mich wartet. Ich habe erkannt, dass es tatsächlich gar nicht so einfach ist, das Wesentliche im Leben nicht nur zu finden, sondern immer wieder aufrechtzuerhalten. In meinem Kopf befindet sich schon wieder ein großes Durcheinander, das Fahren hat viel gelöst, ich habe Durchblicke und Erkenntnisse gewonnen, doch jetzt ist das Fahren vorbei, ich bin auf das „Normale“ angewiesen. Alles braucht seine Zeit. Die nächste Route wird definitiv Straßburg, Paris, Brüssel und London sein. Darauf freue ich mich bereits. Wenn ich morgen zurück bin, dann beginnt nicht nur eine neue Woche, nein, dann stehen recht viele unterschiedliche Aufgaben an. Hier in Rotterdam Zuid geht es sehr international zu, die unterschiedlichsten Kulturen treffen aufeinander und man riecht recht häufig Cannabis. Teilweise fühle ich mich unsicher, doch alles in allem gefällt es mir hier sehr, alles in allem ist es eine entspannte Atmosphäre, die mich an das Leben in Hamburg erinnert. Wenn es etwas gibt im Leben für das es wirklich zu kämpfen gilt, dann sind es die eigenen Träume. Die Menschen, die für einen selbst bestimmt sind, werden bei einem bleiben und zu einem halten, sie sehen und spüren und wissen, welcher Mensch man am tiefsten Punkt seines Selbst ist. Ich habe Rotterdam erradelt und damit einen weiteren Punkt meiner „2024 Träume-Liste“ erreicht. Einfach Schritt für Schritt. Das Leben wird seine Antworten bringen.
Gestern Abend hatte ich einen Albtraum, es war eine Art tiefe Erkenntnis, ein tiefer Einblick in eine intensive destruktive emotionale Verflechtung, die mir ein Großteil meines Lebens große Qualen bereitet hat. Ich schlief noh nicht einmal richtig, ich befand mich in einer Art Dämmerzustand, ich war kurz eingenickt und dann kam da diese Szene, die mich in Schockstarre brachte. Wenn ich jetzt aus dem Innen des Cafés nach draußen auf mein Rad und auf das Gepäck blicke, dann frage ich mich, was diesen Menschen plagt und umtreibt. Warum muss er immer wieder losziehen, was sucht er in der Freiheit, wie viel Verantwortung übernimmt er in der Gesellschaft und was gibt er anderen Menschen? Ich möchte kein Nutznießer eines Sozialstaates sein, aber ich möchte auch nicht ausgenutzt, immer wieder über meine Grenzen gebracht werden und letztlich das Gefühl haben, immer weiter auszubrennen. Doch irgendwoher muss das Geld kommen, mit einer gewissen Tätigkeit muss oder vielmehr darf man in der Gesellschaft einen Beitrag leisten. Wer bin ich und wer bin ich geworden und was wird aus mir werden? Wohin gehe ich und was habe ich zu geben? Wo verweile ich und worauf richte ich meine Aufmerksamkeit? Wem vertraue ich mich an und wen unterstütze ich? Wen weihe ich in meine Träume ein? Mit wem verbringe ich gemeinsam Momente der Zeitlosigkeit? Wo finde ich Gott? Wo erkenne ich das Göttliche im Alltag? Warum stelle ich wieder so viele Fragen? Wer ist mein Lehrer? Wieso muss ich zurück nach Hause kehren? Welcher Mensch bin ich mit 68 Jahren? Wem habe ich Glauben geschenkt und wen habe ich inspiriert? Was habe ich auf meinem Weg gesammelt und was habe ich beigetragen? War ich faul und unnütz? Wie sehr war ich echt? Was folgte ich? Wie entscheide ich mich?
Heute fielen mir die vier Schiffe COMPROMIS, COMPAAN, VOGUE und AVALON exakt in der Reihenfolge auf. Alles wird schon werden. Alles braucht seine Zeit. Das Meer wird am Ende des Tages ruhig sein und seine gesamte Schönheit offenbaren. Ich vertraue dem Universum und all den Schichten, die ich oft nicht wahrnehme oder erkenne – aber sie sind vorhanden, dessen bin ich mir gewiss. Das ist der Sinn der Existenz. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann werde ich es unweigerlich früher oder später erreichen. Ich bin froh zu leben und froh, bereits so weit gekommen zu sein. Ich bin froh ich zu sein und froh, meinen kleinen Beitrag auf diesem großen Planeten zu leisten.
21:13 Uhr
Seit knapp drei Stunden warte ich bereits, weitere drei Stunden stehen noch bevor. Ich hoffe, dass der Bus um einige Zeit früher kommt, damit ich mich bereits ins Warme setzen kann. Ich bräuchte jetzt dringend eine heiße Tasse Tee, eine warme Dusche und ein kuscheliges Bett. Knapp 1.400 Kilometer sind es bis nach London, Zugtickets gibt es via Paris für rund 130 Euro allerdings ohne Fahrrad. Wenn mir das Schicksal hold ist, dann werde ich bald in London stehen. Morgen Mittag soll ich in Stuttgart sein, dann muss ich zum Arzt und ab Dienstag beginnt das Bewerbungscoaching. Wie ich in Hoek van Holland – der Ecke der Niederlande – das Fahrrad zurück vom Steg schob fiel eine ältere Dame neben mir auf den Boden und blutete recht stark an einer Verletzung am rechten Knöchel. Ich hielt an um meine Reiseapotheke zur Hilfe zu geben. Drei andere Niederländer waren auch direkt bei ihr, legten eine Wundkompresse an und riefen den Krankenwagen. So ein Moment am Ende meiner Tour hat mir wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist sich selbst herauszufordern und die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers zu nutzen. Bei dieser Tour bin ich des Öfteren an körperliche, psychische und seelische Grenzen gestoßen. Ich hatte Phasen, die sehr dunkel und erschreckend waren, in denen ich mich in Gänze in Frage gestellt habe. In den Nächten schlief ich recht wenig. Die Postkarte meines Vaters aus dem Jahr 2022 hat mich die ganze Zeit begleitet. Vor der Metrostation in Hoek van Holland fand ich glücklicherweise eine Touristeninformation, ich kaufte einen Rotterdam-Magneten, zwei Postkarten und drei internationale Briefmarken mit Tulpen. Die Mitarbeiterin war sehr freundlich, sie stellte mir eine Urkunde für die Bewältigung des EuroVelo 15 aus. Nun sitze ich hier, ein weiteres Kapitel ist beendet, ein neues im Begriff zu beginnen. Ich wünsche mir mehr gemeinsame Zeit mit Ma., ein gemeinsames Heim, Kinder und eine regelmäßige Anzahl verkaufter Bücher. Ich weiß, dass die Zukunft rosig ist, dass es auf dieser sich kontinuierlich wandelnden und beizeiten befremdlichen Welt ausgesprochen viele Orte und Menschen gibt, die sehr besonders und wertvoll sind. Hier am Bahnhof warten Menschen oder sie laufen vorbei, Rotterdam ist die Stadt der Macher. Ich bin ein Macher, ich bringe Träume in die Realität und ich verhelfe Menschen wieder an sich selbst und an ihre ureigenen Fähigkeiten zu glauben. Das Einzigartige ist, dass jedes spirituelle Wesen einmalig ist. Wir wurden alle mit einer unbegrenzten Innenwelt ausgestattet. Wir mögen Makel oder tiefe Süchte haben, enttäuschen und Vertrauen missbrauchen. Aber dafür leben wir um zu wachsen, um unsere Perspektive zu verändern und um uns selbst stärker bewusst zu werden, was uns wirklich wichtig ist. Und schließlich stellen wir fest, dass wir leben um zu heilen und um zu lieben. Der erste Fernbus von insgesamt zweien vor meinem ist gekommen. Die Erinnerung an Basel und an den vor meiner Nase weggefahrenen grünen Bus nach Barcelona taucht wieder auf.
Wann werde ich das nächste Mal in die Niederlande fahren? Wie viele Atemzüge werde ich noch machen in diesem Leben? Wie oft wird mein Herz noch schlagen? Wie fühlt sich Ma. an wenn wir uns am Donnerstag wiedersehen werden? Welche anderen Menschen werden im Bus sitzen? Wer wird ihn fahren und was für eine Lebensgeschichte hat er oder sie? Was verspreche ich mir von der nächsten Woche?
Schwere Regentropfen auf schwarzem Asphalt – Montag, 01. Juli 2024

Starke Regenfälle am Busbahnhof am Busbahnhof des Frankfurter Flughafens 
Das ungeschützte Fahrrad auf der Rückseite des Fernbusses 
Schön gestalteter öffentlicher Raum mit Durchfahrtssperre für den Kfz-Verkehr 
Angenehmer Fuß- und Radweg mit wasserdurchlässigem Belag zwischen Kornwestheim und Neckar 
Mobilitätspunkt mit Fahrrad-Sharing-Station mit Elektrofahrrädern, U-Bahn-Station und Radservice-Punkt 
Piktogramm zur Kenntlichmachung der gegenseitigen Rücksichtnahme
08:57 Uhr – Fernbus Rotterdam Zuidplein – Stuttgart Kornwestheim (bei Frankfurt am Main)
Schwere Regentropfen fallen auf die Fensterscheiben und auf den Asphalt. Mein Fahrrad tut mir leid – es hängt hinten ohne Regenschutz. Es ist nass und es muss frieren. Dafür fährt es durch die halbe Nation. Dafür sieht die halbe Nation mein Fahrrad. Ich bin kaputt, verschwitzt und sehr müde. Mein Leben zieht an mir vorbei. Ich muss mich entscheiden und ganz frei ich selbst sein. Ich brauche Platz und eine neue Herausforderung. Es ist eine düstere Stimmung mit der dicken pechschwarzen Wolkendecke. Ich glaube, dass ich ausgesprochen viel Glück gehabt habe mit dem guten Wetter bei der Fahrradtour.
15:49 Uhr
Ich bin wieder zurück, habe frisch geduscht, etwas Warmes gegessen, die Wäsche in der Maschine und das Geschirr ausgeräumt, den Briefkasten geleert, die Blumen gegossen und gute 890 Kilometer in den Beinen. Und ich bin ausgesprochen müde.
22:44 Uhr
Ich liege endlich im Bett. Der Tag war ausgesprochen lang, ich freue mich auf die Nacht und bin gespannt, was mich morgen erwarten wird…
„Unraveling the Cycling City“ – Mittwoch, 03. Juli 2024
14:31 Uhr
Jetzt bin ich wieder zuhause. Draußen regnet es, ich höre Musik, mein Fahrrad ist frisch geputzt und wartet darauf wieder ausgefahren zu werden. Ich habe meine handschriftlichen Notizen der vergangenen Tage aus dem Notizbuch no. 73 mit dem Titel „Eine moderne Reproduktion von M. C. Escher oder wie das korrekte Atmen erfolgen sollte“ digitalisiert und den Online-Kurs „Unraveling the Cycling City“ des Urban Cycling Instituts zu 75 Prozent abgeschlossen. Eine weitere Bewerbung ist abgesendet. Das Fahrrad kann nicht der ausschließliche Teil der Lösung sein. Doch es kann ein zentraler Schlüssel sein, um Mobilität neu, attraktiv und zuverlässig zu gestalten. Das Fahrrad kann das Bindeglied zwischen zu Fuß Gehenden, Nutzenden des Öffentlichen Personenverkehrs, bedarfsorientierter (autonomer) Lösungen auf der letzten Meile oder im ländlichen Raum, innovativer Logistik und des Autos sein. Das Fahrrad kann ermutigen und inspirieren, Kraft geben und Menschen verbinden. Es gibt kein Patentrezept für eine Fahrradstadt. Jede Stadt, jede Region und jedes Land hat seine Eigenheiten und Spezifika. Es ist wichtig, sich der eigenen Stärken und Fähigkeiten bewusst zu sein und zu werden, sich auf das Eigentliche und auf das Zentrale zu besinnen und ein gesundes Selbstvertrauen an den Tag zu legen. Die Welt zeigt uns offensichtlich, dass wir unser Verhalten verändern müssen, dass es erforderlich ist, dass wir neue Antworten auf die immer gleichen Fragen finden und dass wir den Mut haben sollten, voller Beharrlichkeit in das Morgen zu schreiten. Wir stehen immer dann am Scheideweg, wenn das Alte nicht mehr funktioniert und die Notwendigkeit unweigerlich gegeben ist sich aufgrund des Schmerzes, der das Gewohnte übertrumpft, zu verändern. Wandel kann einzig geschehen, wenn das Unmögliche ins Auge gefasst wird und aus der Alternativlosigkeit die Energie zum Antrieb für das noch nicht Gezeichnete erwacht.
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